Donnerstag, 22. November 2012

Englands Schicksal liegt ihm auf der Zunge

Der Film wird wieder, was er einmal war: ein Theaterstück. "The King’s Speech" in Hamburg ringt um Worte 

Die Rückkehr des Königs ließ nicht lange auf sich warten. Der britische Kinofilm "The King’s Speech" heimste 2011 die Oscars für den besten Film, die beste Regie, das beste Originaldrehbuch und mit Colin Firth für den beten Hauptdarsteller ein. Nun kehrt mit dem Theaterstück als Vorlage des Drehbuchs das Königsdrama von David Seidler ans Theater zurück. Die Deutsche Erstaufführung bescherte Hamburg im St. Pauli Theater mit Marcus Bluhm zudem einen neuen König, der gleichfalls einen Preis als bester Hauptdarsteller verdient hätte.

Zügig in Szene gesetzt hat den stotternden König der für diesen Job geradezu prädestinierte walisische Regisseur Michael Bogdanov. Der Shakespeare-Experten und ehemalige Intendant des Hamburger Schauspielhauses setzt seit einigen Jahren Regiemaßstäbe an verschiedenen Privattheatern der Hansestadt. "Die Rede des Königs", so der deutsche Titel, gelang ihm über weite Strecken vorzüglich. Dennoch kommt Spannung eigentlich nicht auf. Der Film ist den meisten Zuschauern offenbar noch sehr gut im Gedächtnis.

So muss sich die Inszenierung natürlich mit dem Film vergleichen lassen – mit dem Ergebnis, dass neben Marcus Bluhm nur die Regie für den Theateroscar nominiert werden kann. Bogdanov setzt geschickt auf filmische Techniken. Flotte Szenenwechsel werden durch harte Schnitte mittels bühnenhoher Leinwände erzielt, die als Projektionsflächen für die großzügigen und doch einengenden Palasträume des königlichen Kammerspiels fungieren.

Zudem verlagert Bogdanov die dramatischen Schwerpunkte. Seine Erzählung vertieft und offenbart auf der einen Seite historisch-politische Dimensionen um die Krönungsgeschichte des realen Georg VI, genannt Bertie. Dokumentarfilmeinblendungen etwa von der Beerdigung seines Vaters Georg V. oder einer Hitlerrede als Kontrast zum großen Stotterer gehören ebenso dazu, wie im Stück gespielte ausführliche Gespräche zwischen der politischen und klerikalen Elite, die staatstragende und staatsgefährdende Intrigen spinnt. So entfalten der wunderbar kauzige Josef Tratnik als Winston Churchill und Joachim Kappl als ehrgeiziger Erzbischof von Canterbury Spannungen auf höchster diplomatischer Ebene. Das ist schlicht theatralischer Mehrwert.

Andererseits intensiviert Bogdanov das Verhältnis zwischen dem Stotterkönig und seinem australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue. Boris Aljinovic muss sich dem Film-Logue Geoffrey Rush geschlagen geben, kann dessen einnehmenden Charme einfach nicht erreichen. Im körperlichen Spiel etwas steif bleibend, macht Aljinovic seine Sache dennoch vorzüglich, gerade sprachlich, was in der Rolle eines Sprachtherapeuten erwartungsgemäß mehr als die halbe Miete ist.

Der intensive Konflikt, den der König im Film ebenso heftig mit Logue wie mit sich selbst ausficht, das psychotherapeutische Moment der Bewältigung der Ursachen des Stotterns, verlagert sich bei der Deutschen Erstaufführung mehr in einen persönlichen Kampf Berties gegen sich selbst. Marcus Bluhm ringt dermaßen ergreifend um Worte, um Luft zum Atmen und zum Sprechen, dass viele Zuschauer fast äußerlich mitringen.

Als sein Bruder schließlich zur Abdankung genötigt wird, weil seine antisemitische und moralisch auch sonst extrem flexible Geliebte Wallis Simpson (Anne Weber) für England nicht tragbar ist, ringt sich Bertie bewegend durch bis zum wahren Königtum. Das kommt, so lehrt Bogdanov, wie andere Schönheit auch, tief von innen. Hätte der Regisseur das bei seiner Inszenierung konsequent berücksichtigt, wäre auch sie vermutlich noch besser geraten.

Durchaus verzichtbar sind arg gewollt komische Szenen wie die der Eröffnung im Bade. Bertie liegt nackt in der Wanne und ein Domestik schüttet ihm zur Musik von Mozarts Krönungsmesse einen Krug kalten Wassers auf die Kronjuwelen. Oder: Churchill bestellt bei einer Hausdienerin einen Whiskey, Bertie trinkt ihm den weg und der spätere Premier funktioniert verärgert das leere Tablett zum Aschenbecher um, auf der er seine Zigarre mehr ausschlägt als ausdrückt.

Dieser Slapstick lenkt eher ab, als dass er "Die Rede des Königs" beflügelte. Doch lässt sich festhalten: "The King’s Speech" ist nun auch in Deutschland gut angekommen.

 Bis 16. Dezember täglich außer Montag.

Stefan Grund
Die Welt, 22.12.2012