Donnerstag, 22. November 2012

Stilvoller Schlagabtausch

David Seidlers biografisches Drama „The King’s Speech“ wurde als Film mit Colin Firth zum oscargekrönten Welterfolg. Kein Wunder, dass auch die Theaterleiter nach diesem Stoff greifen. Die deutsche Erstaufführung ging am St. Pauli Theater in Hamburg beifallumrauscht über die Bühne.

Prinz Albert, Herzog von York, mied jedes Mikrofon. Er wollte keinesfalls König werden. Als jedoch sein älterer Bruder König Edward VIII. wegen seiner Liebe zur zweifach geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson abdankte, wurde Alberts Alptraum wahr. Der Stotterer erhielt 1936 Großbritanniens Krone und musste in die Rolle des Monarchen erst noch hineinwachsen.

Der Film aus dem Jahr 2010 glich einem Kammerspiel. Die temporeiche Boulevardkomödie von Michael Bogdanov wirkt wiederum wie eine schnell geschnittene Filmadaption. Im Hintergrund flimmern zeithistorische Stummfilme in Schwarz-Weiß. Aus dem Off tönen Fanfaren oder knisternde Reden. Die Zeitreise in 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts gelingt atmosphärisch und optisch perfekt (Ausstattung: Sean Crowley).

Mit dem königlichen Besuch beim Therapeuten Lionel Logue (Boris Aljinovic) kommt die Aufführung in Schwung, der bis zum Ende anhält. Der Königsspross (Marcus Bluhm) und der Sprachspezialist könnten gegensätzlicher nicht sein. Lionel: "Wie soll ich Sie nennen?" – Albert: "Königliche Hoheit." - Lionel (lacht): "Aber nein, wie wäre es mit Bertie!?" – Albert (wütend): "Was fällt Ihnen ein...!"

Richtige Mischung

Marcus Bluhm verleiht dem Monarchen punktgenau die richtige Mischung aus charakterlicher Noblesse und leidvoller seelischer Schwäche. Und Boris Aljinovic fasziniert als dessen schnodderig-unkonventioneller, aber sehr effektiver Lehrer Logue.

Mit Lionels Beharrlichkeit schafft es Bertie schließlich sowohl seine Krönung als auch die wichtige Radio-Ansprache mit Anstand zu meistern, in der Georg VI. Deutschland am 3. September 1939 den Krieg erklärt. "Sprechen Sie zu Ihrem Volk wie zu einem Freund", rät Lionel Logue seinem nervösen Schüler. Dieser fasst danach Lionel an die Schultern und nennt ihn "mein Freund". Mehr königliche Zuneigung kann niemand erwarten.

Der lebensklug-humorvolle verbale Schlagabtausch zwischen den beiden ungleichen Männern, die auch im wahren Leben befreundet gewesen sein sollen, steht im Mittelpunkt des Abends. In anmutigen Kleidern der Zeit setzen aber auch Susanne Schäfer als Queen Elizabeth und Anne Weber als Mrs. Logue beziehungsweise Mrs. Simpson wichtige Akzente.

Michael Bogdanov erzählt aber noch mehr als die rührende Begegnung. Der Regisseur führt die Könige als dekadente, Sprüche klopfende Zyniker vor. Alberts Vater George V. (Niels Hansen) betrachtet die Monarchie als Firma. "Unser Business ist, auf dem Thron zu sitzen." Edward VIII. (Stephan Benson) will nicht König sein, wenn er nicht machen kann, was er will. Die alte Frage, ob das Volk dem König gehört oder der König dem Volk, beantwortet der Demokrat Bogdanov mit einem "weder noch".

Bereits vor Jahrzehnten hatte Drehbuchautor Seidler mit den Arbeiten an dem Stück begonnen. Bei einem Kontakt mit „Queen Mum“, der Witwe Georges, bat diese ihn 1982, es erst nach ihrem Tod zu veröffentlichen - zu schmerzlich seien für sie die Erinnerungen.

Erst nach Tom Hoopers Film wurde das Drama dieses Frühjahr in London uraufgeführt. Im September folgte die deutschsprachige Erstaufführung in Wien.

Thomas Joerdens
Nordsee-Zeitung, 22.11.2012