Mittwoch, 28. November 2012

Jetzt stottert der König auch in Hamburg

"The King’s Speech" war ein Theaterstück, bevor es als Film ein Welterfolg wurde. Nun spielt das St. Pauli-Theater in Hamburg das Originaldrama - mit einem "Tatort"- Kommissar.

© Jim Rakete
Die Rückkehr des Königs ließ nicht lange auf sich warten. Der britische Kinofilm "The King’s Speech" heimste 2011 die Oscars für den besten Film, die beste Regie, das beste Originaldrehbuch und mit Colin Firth für den beten Hauptdarsteller ein. Nun kehrt mit dem Theaterstück als Vorlage des Drehbuchs das Königsdrama von David Seidler ans Theater zurück. Die Deutsche Erstaufführung bescherte Hamburg im St. Pauli Theater mit Marcus Bluhm zudem einen neuen König, der gleichfalls einen Preis als bester Hauptdarsteller verdient hätte.
 
Regie führt Hamburgs alter Theaterkönig
 
Zügig in Szene gesetzt hat den stotternden König der für diesen Job geradezu prädestinierte walisische Regisseur Michael Bogdanov. Der Shakespeare-Experten und ehemalige Intendant des Hamburger Schauspielhauses setzt seit einigen Jahren Regiemaßstäbe an verschiedenen Privattheatern der Hansestadt. "Die Rede des Königs", so der deutsche Titel, gelang ihm über weite Strecken vorzüglich. Dennoch kommt Spannung eigentlich nicht auf. Der Film ist den meisten Zuschauern offenbar noch sehr gut im Gedächtnis.

So muss sich die Inszenierung natürlich mit dem Film vergleichen und an ihm messen lassen – mit dem Ergebnis, dass neben Marcus Bluhm nur die Regie für den Theateroscar nominiert werden kann. Bogdanov setzt geschickt auf filmische Techniken. Flotte Szenenwechsel werden durch harte Schnitte mittels bühnenhoher Leinwände erzielt, die als Projektionsflächen für die großzügigen und doch einengenden Palasträume des königlichen Kammerspiels fungieren. Vor den diesen Fototapeten, die schnelle Umbauten erlauben, macht ein kleiner Teetisch schon ein ganzes Mobiliar.

Es gibt durchaus theatralischen Mehrwert

Zudem verlagert Bogdanov die dramatischen Schwerpunkte. Seine Erzählung vertieft und offenbart auf der einen Seite historisch-politische Dimensionen um die Krönungsgeschichte des realen Georg VI, genannt Bertie. Dokumentarfilmeinblendungen etwa von der Beerdigung seines Vaters Georg V. oder einer Hitlerrede als Kontrast zum großen Stotterer gehören ebenso dazu, wie im Stück gespielte ausführliche Gespräche zwischen der politischen und klerikalen Elite, die staatstragende und staatsgefährdende Intrigen spinnt. So entfalten der wunderbar kauzige Josef Tratnik als Winston Churchill und Joachim Kappl als ehrgeiziger Erzbischof von Canterbury Spannungen auf höchster diplomatischer Ebene. Das ist theatralischer Mehrwert.

Andererseits intensiviert Bogdanov das Verhältnis und die Konflikte zwischen dem Stotterkönig und seinem australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue. Boris Aljinovic muss sich dem Film-Logue Geoffrey Rush geschlagen geben, kann dessen einnehmenden Charme einfach nicht erreichen. Im körperlichen Spiel etwas steif bleibend, macht Aljinovic seine Sache dennoch vorzüglich, gerade sprachlich, was in der Rolle eines Sprachtherapeuten erwartungsgemäß mehr als die halbe Miete ist. An seiner Seite spielt Susanne Schäfer als Königin Elisabeth (Queen Mum) erstklassig und chancenlos der Oscar-nominierten Helena Bonham Carter hinterher. Stephan Benson gibt im St. Pauli Theater sehr ansprechend den ausschweifenden Bertie-Bruder David und Edward VIII. Niels Hansen macht den George V.

Berties Kampf mit sich selbst

Der intensive Konflikt, den der König im Film ebenso heftig mit Logue wie mit sich selbst ausficht, das psychotherapeutische Moment der Bewältigung der Ursachen des Stotterns, verlagert sich bei der Deutschen Erstaufführung mehr in einen persönlichen Kampf Berties gegen sich selbst. Marcus Bluhm ringt dermaßen ergreifend um Worte, um Luft zum Atmen und Sprechen, dass viele Zuschauer fast äußerlich mitringen.

Als sein Bruder schließlich zur Abdankung genötigt wird, weil seine antisemitische und moralisch auch sonst extrem flexible Geliebte Wallis Simpson (Anne Weber verkörpert nebenher auch noch locker Lionels Frau Myrtle) für England nicht tragbar ist, ringt sich Bertie bewegend durch bis zum wahren Königtum. Das kommt, so lehrt Bogdanov, wie andere Schönheit auch, tief von innen.

Kaltes Wasser auf die Kronjuwelen
Hätte der Regisseur das bei seiner Inszenierung konsequent berücksichtigt, wäre auch sie vermutlich noch besser geraten. Durchaus verzichtbar sind arg gewollt komische Szenen wie die der Eröffnung im Bade. Bertie liegt nackt in der Wanne und ein Domestik schüttet ihm zur Musik von Mozarts Krönungsmesse einen Krug kalten Wassers auf die Kronjuwelen. Oder: Churchill bestellt bei einer Hausdienerin einen Whiskey, Bertie trinkt ihm den weg und der spätere Premier funktioniert verärgert das leere Tablett zum Aschenbecher um, auf der er seine Zigarre mehr ausschlägt als ausdrückt.

Dieser Slapstick lenkt eher ab, als dass er "Die Rede des Königs" beflügelte. Doch lässt sich festhalten: Nach der gelungenen deutschsprachigen Erstaufführung im Wiener Theater in der Josefstadt ist "The King’s Speech" nun auch in Deutschland gut angekommen.

Stefan Grund
Die Welt, 21.11.2012

Donnerstag, 22. November 2012

Der scheue Be-Be-Be-Bertie wird zum großen König

Im St.-Pauli-Theater feierte Michael Bogdanovs Inszenierung von "The King's Speech - Die Rede des Königs" eine viel bejubelte deutsche Erstaufführung.

© Jim Rakete
Hamburg. Ein Mann, der nie König werden wollte, weil er stotterte, kränkelte und unter keinen Umständen Gefühle zeigen durfte, das ist George VI. gewesen, der Vater der heutigen englischen Königin Elizabeth II. Über ihn schrieb David Seidler ein schönes Drama, die Geschichte eines Mannes, der über sich selbst hinauswächst und zu Freundschaft fähig wird, "The King's Speech". Der gleichnamige Film erhielt 2010 vier Oscars. Dass das Stück auch auf der Bühne bestens funktioniert, bewies nun Michael Bogdanov in seiner Inszenierung der deutschen Erstaufführung am St.-Pauli-Theater. Mit Marcus Bluhm in der Rolle des Königs Georg VI. und Boris Aljinovic als dessen Sprachtrainer Lionel Logue und großartigen Bildern (Bühne: Sean Crowley) wurde die Aufführung mit lang anhaltendem, heftigen Applaus gefeiert.

Mit einer klassischen Morgentoilette beginnt der Abend. Albert, Herzog von York (zweiter Sohn des Königs), wird angekleidet, von der Unterwäsche bis zum Jackett. Dieser Mann muss, darf und kann wohl nichts alleine machen. Für jede Regung ist ein Reglement vorgesehen. Als Junge hat er gestottert, war Linkshänder, hatte schiefe Beine und wurde zum Gespött seines älteren Bruders und seines Vaters. Die ihn "Be-Be-Be-Bertie" riefen. Albert, so viel ist klar, hat kein schönes Leben. Einzig seine Frau, die von Susanne Schäfer liebevoll trutschig gespielt wird, ist ihm vertraut. Bei ihr stottert er nicht.

Wenn Marcus Bluhm dieses Stottern spielt, ein mühsames, abwägendes Poltern und Pochen, ein Heranwagen an die schwierigen Wörter, die mit V beginnen, die langen Pausen, seine Irritation darüber, dass die Aussprache wieder misslang, der Ärger über diese Behinderung, die Angst, auftreten zu müssen, dann macht er das souverän, mit Würde und großem Einfühlungsvermögen. Er zeigt einen schüchternen Mann, der der Welt nicht gewachsen ist, der aber seine Rolle als Sohn des Königs spielen muss. Bluhm gibt das berührende Bild eines Ungeliebten, Verklemmten, Lebensunklugen, mit dem man aber unbedingt Mitleid haben muss.

Rasche Bildwechsel, begleitet vom Swing der 30er-Jahre, führen die Zuschauer mitten hinein ins Vorkriegs-England. Auf Rollvorhänge werden Bilder vom Buckingham Palace, von Bibliothek und Kaminzimmer, von Westminster Abbey projiziert. Erstaunlich, wie weitläufig plötzlich das kleine St.-Pauli-Theater aussieht. Auch die Wohnung des australischen Sprachlehrers Logue (Boris Aljinovic) und seiner Frau (Anne Weber), der Modellflugzeuge zusammenbaut, der einige Enttäuschungen verarbeiten muss, weil er in seinem Traumberuf als Schauspieler nicht reüssiert, wird gut getroffen. Aljinovic spielt den lachenden Draufgänger, der sich, anders als jeder andere Mensch, an den König herantraut und ihn dadurch auftaut und zum Menschen macht. Eine wahrhaft schöne Story.

Geschichtsbedingt tauchen der dicke Churchill auf (Josef Tratnik), Berties Bruder David (Stephan Benson), der erst König wird und dann abdanken muss, weil er sich in die zweimal geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson verliebt, allerlei Bedienstete, Kirchenfürsten und Politiker. Bertie, der als Nächstgeborener widerwillig König werden muss, füllt diese Rolle dann, auch weil er menschlich gewachsen ist, großartig aus. Sprachlehrer und Ehefrau sei Dank. Der Waliser Michael Bogdanov hat eine Geschichte, die "very British" ist, atmosphärenreich, klug und sehr unterhaltsam so erzählt, dass sie zur Parabel über das Leben aller Ängstlichen wird. Großes Theater.

PS: Die sehr britische Frage, ob man erst die Milch oder erst den Tee eingießt, löst Aljinovic und gießt erst den Tee ein. Falsch! Wenn man zuerst die Milch eingießt, verfärbt sich das Porzellan der Tasse nicht.

"The King's Speech" noch bis 16.12., 20.00, St.-Pauli-Theater, Karten unter T. 47 11 06 66

Armgard Seegers
Hamburger Abendblatt, 22.11.2012

Eingespart, ausgezaubert, eingedeutscht, wiedergefunden

... Reden wir über bescheidenere Formen von Hochkultur. Das kleine Hamburger St.Pauli-Theater, ein privat geführtes Haus auf künstlerischem Spitzenniveau, hat am Dienstag wieder einen Coup gelandet. In deutscher Erstaufführung zeigte man „The King’s speech“ – das Original-Theaterstück, das dem Erfolgsfilm zugrunde liegt. Mit Michael Bogdanov holte man einen Weltklasse-Regisseur, mit Marcus Bluhm und Tatort-Kommissar Boris Aljinovic (der Kleine aus Berlin) exzellente Schauspieler. Der Abend sei „beifallumrauscht“ gewesen, notierte die Presse. Wetten: Man wird das Stück bald anderswo im Land auf den Spielplänen sehen. ...

Den ganzen Artikel gibt es hier

Dieter Lintz
Volksfreund.de, 22.11.2012

Stilvoller Schlagabtausch

David Seidlers biografisches Drama „The King’s Speech“ wurde als Film mit Colin Firth zum oscargekrönten Welterfolg. Kein Wunder, dass auch die Theaterleiter nach diesem Stoff greifen. Die deutsche Erstaufführung ging am St. Pauli Theater in Hamburg beifallumrauscht über die Bühne.

Prinz Albert, Herzog von York, mied jedes Mikrofon. Er wollte keinesfalls König werden. Als jedoch sein älterer Bruder König Edward VIII. wegen seiner Liebe zur zweifach geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson abdankte, wurde Alberts Alptraum wahr. Der Stotterer erhielt 1936 Großbritanniens Krone und musste in die Rolle des Monarchen erst noch hineinwachsen.

Der Film aus dem Jahr 2010 glich einem Kammerspiel. Die temporeiche Boulevardkomödie von Michael Bogdanov wirkt wiederum wie eine schnell geschnittene Filmadaption. Im Hintergrund flimmern zeithistorische Stummfilme in Schwarz-Weiß. Aus dem Off tönen Fanfaren oder knisternde Reden. Die Zeitreise in 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts gelingt atmosphärisch und optisch perfekt (Ausstattung: Sean Crowley).

Mit dem königlichen Besuch beim Therapeuten Lionel Logue (Boris Aljinovic) kommt die Aufführung in Schwung, der bis zum Ende anhält. Der Königsspross (Marcus Bluhm) und der Sprachspezialist könnten gegensätzlicher nicht sein. Lionel: "Wie soll ich Sie nennen?" – Albert: "Königliche Hoheit." - Lionel (lacht): "Aber nein, wie wäre es mit Bertie!?" – Albert (wütend): "Was fällt Ihnen ein...!"

Richtige Mischung

Marcus Bluhm verleiht dem Monarchen punktgenau die richtige Mischung aus charakterlicher Noblesse und leidvoller seelischer Schwäche. Und Boris Aljinovic fasziniert als dessen schnodderig-unkonventioneller, aber sehr effektiver Lehrer Logue.

Mit Lionels Beharrlichkeit schafft es Bertie schließlich sowohl seine Krönung als auch die wichtige Radio-Ansprache mit Anstand zu meistern, in der Georg VI. Deutschland am 3. September 1939 den Krieg erklärt. "Sprechen Sie zu Ihrem Volk wie zu einem Freund", rät Lionel Logue seinem nervösen Schüler. Dieser fasst danach Lionel an die Schultern und nennt ihn "mein Freund". Mehr königliche Zuneigung kann niemand erwarten.

Der lebensklug-humorvolle verbale Schlagabtausch zwischen den beiden ungleichen Männern, die auch im wahren Leben befreundet gewesen sein sollen, steht im Mittelpunkt des Abends. In anmutigen Kleidern der Zeit setzen aber auch Susanne Schäfer als Queen Elizabeth und Anne Weber als Mrs. Logue beziehungsweise Mrs. Simpson wichtige Akzente.

Michael Bogdanov erzählt aber noch mehr als die rührende Begegnung. Der Regisseur führt die Könige als dekadente, Sprüche klopfende Zyniker vor. Alberts Vater George V. (Niels Hansen) betrachtet die Monarchie als Firma. "Unser Business ist, auf dem Thron zu sitzen." Edward VIII. (Stephan Benson) will nicht König sein, wenn er nicht machen kann, was er will. Die alte Frage, ob das Volk dem König gehört oder der König dem Volk, beantwortet der Demokrat Bogdanov mit einem "weder noch".

Bereits vor Jahrzehnten hatte Drehbuchautor Seidler mit den Arbeiten an dem Stück begonnen. Bei einem Kontakt mit „Queen Mum“, der Witwe Georges, bat diese ihn 1982, es erst nach ihrem Tod zu veröffentlichen - zu schmerzlich seien für sie die Erinnerungen.

Erst nach Tom Hoopers Film wurde das Drama dieses Frühjahr in London uraufgeführt. Im September folgte die deutschsprachige Erstaufführung in Wien.

Thomas Joerdens
Nordsee-Zeitung, 22.11.2012

Englands Schicksal liegt ihm auf der Zunge

Der Film wird wieder, was er einmal war: ein Theaterstück. "The King’s Speech" in Hamburg ringt um Worte 

Die Rückkehr des Königs ließ nicht lange auf sich warten. Der britische Kinofilm "The King’s Speech" heimste 2011 die Oscars für den besten Film, die beste Regie, das beste Originaldrehbuch und mit Colin Firth für den beten Hauptdarsteller ein. Nun kehrt mit dem Theaterstück als Vorlage des Drehbuchs das Königsdrama von David Seidler ans Theater zurück. Die Deutsche Erstaufführung bescherte Hamburg im St. Pauli Theater mit Marcus Bluhm zudem einen neuen König, der gleichfalls einen Preis als bester Hauptdarsteller verdient hätte.

Zügig in Szene gesetzt hat den stotternden König der für diesen Job geradezu prädestinierte walisische Regisseur Michael Bogdanov. Der Shakespeare-Experten und ehemalige Intendant des Hamburger Schauspielhauses setzt seit einigen Jahren Regiemaßstäbe an verschiedenen Privattheatern der Hansestadt. "Die Rede des Königs", so der deutsche Titel, gelang ihm über weite Strecken vorzüglich. Dennoch kommt Spannung eigentlich nicht auf. Der Film ist den meisten Zuschauern offenbar noch sehr gut im Gedächtnis.

So muss sich die Inszenierung natürlich mit dem Film vergleichen lassen – mit dem Ergebnis, dass neben Marcus Bluhm nur die Regie für den Theateroscar nominiert werden kann. Bogdanov setzt geschickt auf filmische Techniken. Flotte Szenenwechsel werden durch harte Schnitte mittels bühnenhoher Leinwände erzielt, die als Projektionsflächen für die großzügigen und doch einengenden Palasträume des königlichen Kammerspiels fungieren.

Zudem verlagert Bogdanov die dramatischen Schwerpunkte. Seine Erzählung vertieft und offenbart auf der einen Seite historisch-politische Dimensionen um die Krönungsgeschichte des realen Georg VI, genannt Bertie. Dokumentarfilmeinblendungen etwa von der Beerdigung seines Vaters Georg V. oder einer Hitlerrede als Kontrast zum großen Stotterer gehören ebenso dazu, wie im Stück gespielte ausführliche Gespräche zwischen der politischen und klerikalen Elite, die staatstragende und staatsgefährdende Intrigen spinnt. So entfalten der wunderbar kauzige Josef Tratnik als Winston Churchill und Joachim Kappl als ehrgeiziger Erzbischof von Canterbury Spannungen auf höchster diplomatischer Ebene. Das ist schlicht theatralischer Mehrwert.

Andererseits intensiviert Bogdanov das Verhältnis zwischen dem Stotterkönig und seinem australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue. Boris Aljinovic muss sich dem Film-Logue Geoffrey Rush geschlagen geben, kann dessen einnehmenden Charme einfach nicht erreichen. Im körperlichen Spiel etwas steif bleibend, macht Aljinovic seine Sache dennoch vorzüglich, gerade sprachlich, was in der Rolle eines Sprachtherapeuten erwartungsgemäß mehr als die halbe Miete ist.

Der intensive Konflikt, den der König im Film ebenso heftig mit Logue wie mit sich selbst ausficht, das psychotherapeutische Moment der Bewältigung der Ursachen des Stotterns, verlagert sich bei der Deutschen Erstaufführung mehr in einen persönlichen Kampf Berties gegen sich selbst. Marcus Bluhm ringt dermaßen ergreifend um Worte, um Luft zum Atmen und zum Sprechen, dass viele Zuschauer fast äußerlich mitringen.

Als sein Bruder schließlich zur Abdankung genötigt wird, weil seine antisemitische und moralisch auch sonst extrem flexible Geliebte Wallis Simpson (Anne Weber) für England nicht tragbar ist, ringt sich Bertie bewegend durch bis zum wahren Königtum. Das kommt, so lehrt Bogdanov, wie andere Schönheit auch, tief von innen. Hätte der Regisseur das bei seiner Inszenierung konsequent berücksichtigt, wäre auch sie vermutlich noch besser geraten.

Durchaus verzichtbar sind arg gewollt komische Szenen wie die der Eröffnung im Bade. Bertie liegt nackt in der Wanne und ein Domestik schüttet ihm zur Musik von Mozarts Krönungsmesse einen Krug kalten Wassers auf die Kronjuwelen. Oder: Churchill bestellt bei einer Hausdienerin einen Whiskey, Bertie trinkt ihm den weg und der spätere Premier funktioniert verärgert das leere Tablett zum Aschenbecher um, auf der er seine Zigarre mehr ausschlägt als ausdrückt.

Dieser Slapstick lenkt eher ab, als dass er "Die Rede des Königs" beflügelte. Doch lässt sich festhalten: "The King’s Speech" ist nun auch in Deutschland gut angekommen.

 Bis 16. Dezember täglich außer Montag.

Stefan Grund
Die Welt, 22.12.2012

The King's Speech Trailer

König sein

Vier Oscars war der Film von Tom Hooper wert im vorigen Jahr - "The King’s Speech" erzählt die Geschichte von Georg VI., dem britischen König, der 1937, bei der Thronbesteigung, noch stark stotterte, zwei Jahre später jedoch das Volk mit einfühlsamen Reden in den Krieg gegen Nazi-Deutschland führte. Ein australischer Sprachlehrer hatte das Wunder vollbracht - er ließ den Stotterer singen, tanzen und mit Kraft-ausdrücken um sich werfen … so fand der Patient die Sprache und sich selbst. Anfang des Jahres wurde das Stück zum Film in London uraufgeführt, jetzt zeigt das kleine Hamburger "St. Pauli-Theater" die deutsche Erstaufführung.

Michael Bogdanov, dem einst so glücklosen englischen Chef am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, gelingt ein Kunststück der sehr besonderen Art - er bekommt all das freundliche Gemenschel der Story (vom missachteten Zuwanderer aus dem australischen Hinterland, der dem frisch gekrönten englischen König das Stottern wegtrainiert) genau so geschickt in den Griff wie die politischen Dimensionen der Geschichte - denn Königssohn Albert, der Zweitgeborene der Monarchie, folgt ja auf den an sich viel beliebteren Bruder David im Augenblick, da der Krieg schon vor der Türe steht. In Deutschland geifert "der Führer", und David, der abtrünnige Königsbruder, der die Krone für eine unpassende Liaison drein gibt, will sich sogar mit dem Berliner Schreihals verbünden. Der scheue Albert, gehänselt für’s Stottern und auch sonst geschunden seit Kindesbeinen, findet sich selbst, den eigenen Wert, als Mensch und als König, in der gewonnenen Sprache; und er gewinnt das Volk; vielleicht den Krieg.

All das steckt in David Seidlers brillant geschriebener, pointensatter Story über die Royals und den "underdog"; und Bogdanovs Hamburger Team lockt all das hervor in einer technischen Großtat – das winzige, eigentlich völlig unterdimensionierte Theaterchen an der Reep-erbahn wird zur fulminant ratternden Maschine voll von pfiffig über- und hintereinander projizierten Bühnenbildern, historischen Video-Sequenzen, grandios gemischter Musik aus Händel und Swing; und in den Hauptrollen spielt ein Traumpaar: Marcus Bluhm, sonst meist nur der hübsche Oberfläch-ling, kämpft hier den Selbstwertkampf des Königs, der fernseh- und „Tatort“-erprobte Boris Aljinovic ist ein derart herzenskluger, frecher, komischer und gelassener Sprachlehrer, dass dem Hamburger Publikum das Herz übergeht vor Freude und Lust … und zu Recht: "The King’s Speech" gehört zum Schönsten, was in dieser Theatersaison zu sehen ist!

Michael Laages
die deutsche Bühne, 22.11.2012

Der entstotterte König

Michael Bogdanov inszeniert am St. Pauli Theater "The King's Speech"

Hamburg. Seine Kindheit war eine Quälerei. Prinz Albert Frederick Arthur George wurde darüber zum Stotterer. Dass der kränkelnde Prinz und spätere Herzog trotzdem 1937 König der Briten wurde, das verdankt er im Speziellen einem Sprachlehrer, der den Hochwohlgeborenen schlicht und frech Bertie nannte. So jedenfalls erzählt es der mit vier Oscars gekrönte Film "The King's Speech". Dessen Drehbuch hatte David Seidler als Theaterstück geschrieben, und filmisch geht es durchaus zu auf der kleinen Bühne des St. Pauli Theaters, wo "The King's Speech" seine überaus gelungene deutsche Erstaufführung feierte.

Der größte Feind des stotternden Vaters der heutigen Queen war das Mikrophon. Mit der Erfindung des Radios drang das königliche Wort ins Wohnzimmer der Untertanen vor. Das Mikro starrte der Stotterkönig an wie das Kaninchen die Schlange; ihn packte die Panik, und er blamierte sich prächtig. 

Mit schnellen Schnitten erzählt Michael Bogdanov, einst Chef am Hamburger Schauspielhaus, die im Kern wahre Geschichte vom gehemmten Herzog, der König wird, und seinem diplomfreien Sprachtherapeuten. Es ist eine Geschichte über Freundschaft und über das Lösen psychischer Blockaden, alles vor der Folie der großen Weltgeschichte, die auch mal in Filmausschnitten hereinweht. Bogdanov und sein Ausstatter Sean Crowley wechseln mit Vorhängen, wenigen Requisiten und Musik schnell die Schauplätze - es wirbelt ein tolles Team im Dunkeln.

Den Kern der Geschichte legt Bogdanov schon in der ersten Szene frei. Da liegt der König frei und nackt in der Badewanne, wird dann von zwei Bediensteten angekleidet und stellt am Ende resigniert fest: "Ich sehe aus wie ein Weihnachtsbaum." Es ist eben nicht leicht, König zu sein.

Marcus Bluhm spielt den Mann, der an die Macht kommt, nachdem sein älterer Bruder König Edward VIII. (Stephan Benson) wegen der Liebe zur zweifach geschiedenen bürgerlichen Wallis Simpson (Anne Weber) abgedankt hat. Bluhm absolviert sprachlich eine artistische, in jedem Moment glaubwürdige Partie. Die Wutanfälle des Mannes, seine Ängstlichkeit, auch seinen unterschwelligen Humor sowie das Schwanken zwischen erwünschter Nähe des Menschen und gebotener Distanz des Monarchen setzt Bluhm ausgezeichnet um.

Trotzdem stiehlt ihm Boris Aljinovic ein wenig die Show. Denn Lionel Logue, der australische Sprachtherapeut, ist die dankbarere Rolle, zumal sie mit viel Witz, Chuzpe und Schlagfertigkeit angelegt ist. Die Augen blitzen, wenn Logue alias Aljinovic seinen königlichen Patienten mit unorthodoxen Methoden respektfrei aus der Fassung bringt. Tragikomisch ist auf der anderen Seite das Scheitern Lionels zu sehen, wenn er beim Vorsprechen für eine Karriere als Schauspieler scheitert.

Um die beiden Stars gruppiert sich ein solides Team. Dessen Rollen zeichnet Bogdanov bisweilen als Karikatur (Josef Tratnik als Churchill) oder Intriganten (Joachim Lang als Erzbischof). Manche Rolle bleibt aber eher blass. Macht nichts, das Publikum quittiert den Abend, an dem die Royals auf sehr vergnügliche Weise menscheln, mit vielen Bravos.

H.-M. Koch
Lüneburger Landeszeitung, 22.11.2012

Mittwoch, 21. November 2012

"The King's Speech" in Hamburg gefeiert

Zu "Gloria"-Gesängen ragen Männerfüße aus einer altmodischen Badewanne. Dann trocknen Diener den Nackten ab, kleiden ihn in Unterwäsche, Socken und glitzernde Paradeuniform.

© Markus Scholz




"Ich sehe aus wie ein Weihnachtsbaum", sagt der Mann, schaut dabei müde und unsicher aus. So beginnt am St.-Pauli-Theater in Hamburg "The King's Speech", David Seidlers biografisches Drama aus dem Jahr 2005 über den britischen König George VI. (1895-1952), der in seine Rolle als Monarch erst noch hineinwachsen musste. Mit Hilfe des australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue, denn George war Stotterer. Der Film von Tom Hooper mit Colin Firth als stotterndem König wurde 2011 zum vierfach Oscar-gekrönten Welterfolg.

Und auch bei der deutschen Uraufführung am Dienstagabend im Hamburger St.-Pauli-Theater gab es Beifallssalven vom Publikum. Selbst diejenigen, die das großartige Kinowerk kannten, fühlten sich nicht enttäuscht. Denn der Waliser Michael Bogdanov hat die sympathische Geschichte über Freundschaft und das Vermögen des Menschen, über sich selbst hinauszuwachsen, so warmherzig wie stilvoll in Szene gesetzt. Mit exzellenten Hauptdarstellern: Marcus Bluhm verleiht dem Monarchen punktgenau das richtige Air aus charakterlicher Noblesse und leidvoller seelischer Schwäche. Und Boris Aljinovic fasziniert als dessen schnodderig-unkonventioneller, aber sehr effektiver Lehrer Logue.

Der lebensklug-humorvolle verbale Schlagabtausch zwischen den beiden ungleichen Männern, die auch im wahren Dasein befreundet gewesen sein sollen, steht im Mittelpunkt des Abends. In anmutigen Kleidern der Zeit (Bühne und Kostüme Sean Cowley) setzen aber etwa auch Susanne Schäfer als Queen Elizabeth und Anne Weber als Mrs. Logue beziehungsweise Mrs. Simpson wichtige Akzente. Schließlich spielt die Story in dramatischer Zeit: Wegen seiner Liebe zur zweifach geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson dankt Edward VIII. 1936 ab, nur wider Willen wird sein Bruder König.

Bereits vor Jahrzehnten hatte der britisch-amerikanische Drehbuchautor Seidler mit den Arbeiten an dem Bühnenstück begonnen. Bei einem Kontakt mit "Queen Mum", der Witwe Georges, bat diese ihn 1982, es erst nach ihrem Tod zu veröffentlichen - zu schmerzlich seien für sie die Erinnerungen. Erst nach Hoopers Film wurde das Drama in diesem Frühjahr in London uraufgeführt - bei hervorragenden Kritiken, aber mäßiger Zuschauerresonanz. Im September folgte die sehr erfolgreiche deutschsprachige Erstaufführung in Wien.

dpa
Südwestpresse, 21.11.2012

Viel Beifall für "The King's Speech" im St. Pauli Theater

© Warren Toda
Hamburg (dpa) - Beifallssalven für einen König: David Seidlers biografisches Drama "The King's Speech" aus dem Jahr 2005 hat am Dienstagabend im Hamburger St. Pauli-Theater glorreiche deutsche Erstaufführung gefeiert. In dem vom Waliser Michael Bogdanov stilvoll inszenierten Werk über Freundschaft und das Vermögen des Menschen, über sich selbst hinauszuwachsen, brillierte Marcus Bluhm als stotternder britischer König George VI.. Kongenial an seiner Seite verkörperte Boris Aljinovic dessen schnodderigen, aber effektiven australischen Sprachtherapeuten Lionel Logue.

dpa
Bild Hamburg, 21.11.2012

Frenetischer Applaus für den stotternden König

Die deutsche Erstaufführung am St. Pauli Theater war dank des tollen Ensembles und der detailfreudigen Inszenierung ein voller Erfolg.

© Jim Rakete

 "The King’s Speech", jener Film, in dem der stotternde englische König George VI. zum Publikumsliebling wurde und damit gleich noch ein paar Oscars abräumte, funktioniert auch auf der Bühne ganz hervorragend. Kein Wunder, schließlich war das Stück von David Seidler zuerst da. Nun erlebte es seine deutsche Erstaufführung am St. Pauli Theater und wurde am Ende frenetisch beklatscht.

Anlass zur Freude gab’s genug: Marcus Bluhm verfügt in der Rolle des Königs nicht nur über genügend Charisma und Ausstrahlung eines Monarchen. Er stottert auch so gekonnt, mit langen Pausen vor einzelnen Wörtern, dass man annehmen könnte, er hätte noch nie anders gesprochen. Eine tolle Leistung. Die entbehrungsreiche Jugend des späteren Königs wider Willen, seine ungeliebte Stellung in der Familie und seine zarte, langsam wachsende Freundschaft zu seinem Sprachlehrer Lionel Logue, den Boris Aljinovic als fröhlichen, ebenfalls Enttäuschungs-Erfahrenen Charmeur spielt, machen die packende Geschichte des Dramas aus.

Regisseur Michael Bogdanov hat sie "sehr englisch" in Szene gesetzt. Geholfen haben ihm dabei nicht nur ein tolles Ensemble (darunter Susanne Schäfer als liebende Ehefrau des Königs), die sorgsam inszenierten englischen Sitten, der Swing der 30er Jahre, sondern ein kongeniales Bühnenbild von Sean Crowley, das mit Projektionen auf Rollvorhänge aus dem kleinen St. Pauli Theater eine riesige Westminster Abbey oder den Buckingham Palast zu zaubern versteht. Ein schöner, rührender und ganz und gar gelungener Abend.

Armgard Seegers
Hamburger Abendblatt, 21.11.2012 

Dienstag, 20. November 2012

Königliches auf kleiner Bühne


© Sven Heine / St. Pauli Theater
Der Erfolgsfilm "The King's Speech" im St. Pauli Theater Hamburg

Die vierfach oscargekrönte Produktion "The King's Speech" weckt hohe Erwartungen. Das St. Pauli Theater in Hamburg wird dem in jeder Weise gerecht. Mit einem rasanten Wechsel aus Video- und Spielszenen gestaltet das Ensemble einen furiosen Abend.

Vier Oscars war der Film von Tom Hooper wert im vorigen Jahr - "The King's Speech" erzählt die Geschichte von Georg VI., dem britischen König, der 1937, bei der Thronbesteigung, noch stark stotterte, zwei Jahre später jedoch das Volk mit einfühlsamen Reden in den Krieg gegen Nazi-Deutschland führte. Anfang des Jahres wurde das Stück zum Film in London uraufgeführt, jetzt zeigt nicht etwa ein großes Staatstheater, sondern das private kleine "St.-Pauli-Theater" in Hamburg die deutsche Erstaufführung. Ein Highlight?

Vorsicht: Nicht jedes so genannte "well made play" ist automatisch auf der Bühne auch "well done"; und auch wo "Oscar" drauf steht auf dem Titel eines Drehbuch fürs Kino, ist nicht selbstverständlich auch ein Top-Text fürs Theater drin! Beides gilt für David Seidlers Vorlage für Tom Hoopers Film, der dem ausgefallenen Thema zum Trotz derart durchschlagend erfolgreich war. Und dennoch ist es das Verdienst des Inszenierungsteams um Michael Bogdanov, den einst so glücklosen englischen Chef am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, dass das Kunststück der sehr besonderen Art gelingt - ein Kino-Erfolg, der auf der Bühne mindestens eben so stark, wenn nicht stärker wirkt als auf der Leinwand; ein Stück für die Bühne, das den Kinofilm weithin vergessen lässt, und zwar verrückterweise, indem es ihn unablässig beschwört. Das ist ein echtes Paradox und muss erklärt werden.

Zum einen ist Bogdanovs Inszenierung inhaltlich auf Augenhöhe - sie bekommt zum einen all das freundliche Gemenschel der Story so gefühlvoll wie geschickt in den Griff: vom missachteten Zuwanderer aus dem australischen Hinterland, der dem frisch gekrönten englischen König das Stottern wegtrainiert, indem er ihn singen, tanzen oder mit vulgären Kraftausdrücken um sich werfen lässt. Zum anderen aber bleiben die politischen Dimensionen der Geschichte immer im Blickfeld - denn dieser Königssohn Albert, nur Zweitgeborener der Monarchie, folgt ja auf den beliebten Vater sowie den auch viel machtbewussteren Bruder David in genau dem Augenblick, da der Krieg schon vor der Türe steht.

Deutschland feiert bereits "den Führer"; und David, der abtrünnige Königsbruder, will auch mit Krone frei sein und tun und lassen was er will, weshalb er für eine unpassende Liaison die Herrschaft drein gibt, unstandesgemäß heiratet und sich danach sogar dem Berliner Nazi-Schreihals als Verbündeter anbietet.

Der scheue Albert dagegen, gehänselt für's Stottern und auch sonst geschunden seit Kindesbeinen, wollte nie König sein - nun findet er sich selbst, und zwar sowohl den eigenen Wert als Mensch als auch die Verantwortung als König, in der mit Sprechlehrerhilfe gewonnenen Sprache. Und er gewinnt -als neuer König Georg VI.- das Volk; vielleicht sogar den Krieg.

All das steckt bereits in David Seidlers brillant geschriebener, pointensatter Story über die Royals und den "underdog"; Bogdanovs Hamburger Team aber -und das ist das wirkliche Ereignis in Hamburg!- lockt all das hervor in einem technischen Parforce-Ritt, wie ihn lange keine Bühne mehr gezeigt hat.

Ausgerechnet das winzige, eigentlich völlig unterdimensionierte Theaterchen an der Reeperbahn verwandelt sich für zwei Stunden in eine fulminant und fehlerfrei auf Hochtouren ratternde Phantasie-Maschine voll von pfiffig über- und hintereinander projizierten Bühnenbildern, historischen Video-Sequenzen, grandios gemischter Musik von Händel bis Swing; atemlos und hoch konzentriert fliegt das Ensemble durch die Handlung - und zwischen manchmal nur zwei Sätze langen Szenen und Szenchen kommt nicht eine Sekunde lang Umbaupausenlangeweile auf.

Das Haus hat ja keine Drehbühne, nur zwei Leinwände rasen rauf und runter und werden geflutet mit Bildern - schnell ist der Abend wie ein Film, auch wenn er den Schnitt zwischen Szene und Szene hier und da nicht kennt. Das war gemeint mit dem Paradox - der Abend ist schnell wie ein Film; und sein Zauber entstammt ganz und gar und elementar dem langsamen Theater.

Mitten im prachtvoll sortierten Ensemble (immerhin sind Winston Churchill und die "Queen Mum" als junge Frau zu besetzen!) strahlt in den Hauptrollen obendrein auch noch ein Traumpaar: Marcus Bluhm, sonst doch meistens eher als hübscher Oberflächling im Einsatz, durchkämpft hier knallhart und grundsätzlich den Selbstfindungskampf des Königs, der keiner sein will, aber einer sein muss; und der fernseh- und "Tatort"-erprobte Boris Aljinovic ist ein derart herzenskluger, frecher, komischer und gelassener Sprachlehrer, dass dem Hamburger Publikum das Herz übergeht vor Freude und Lust und zu Recht: "The King's Speech" gehört schlicht zum Schönsten, was in dieser Theatersaison zu sehen ist!

Michael Laages
Deutschlandradio Kultur, 20.11.2012
 

Montag, 19. November 2012

"The King's Speech": Das Drama des stotternden Königs

Das Stück von David Seidler über George VI. hat in der Regie von Michael Bogdanov Premiere am Hamburger St.-Pauli-Theater.

© Stefan Malzkorn
Hamburg. Clotted Cream und Scones am Nachmittag, im Hintergrund perlt ein Klavier - britischer geht's nicht. Es sei denn, man würde sich mittags zu Steak and Kidney Pie (nur echt mit Rindertalg und viel Nieren!) treffen. Aber das will im Ernst wohl niemand, zu groß wäre die kulinarische Herausforderung. Nun also Tea Time mit Michael Bogdanov, dem Regisseur und den Schauspielern Marcus Bluhm, Boris Aljinovic und Susanne Schäfer, die uns vom 20. November an im St.-Pauli-Theater ein persönliches Drama aus dem englischen Königshaus und den Beginn einer wunderbaren Freundschaft präsentieren werden, "The King's Speech" heißt das Stück.

Mit dem Film über den stotternden König George VI. ist nicht nur der Drehbuchautor David Seidler berühmt geworden. Auch der König, Vater der englischen Königin Elizabeth II., ist erst durch den Film und seine berührende Geschichte vom schüchternen Mann, der der Welt da draußen scheinbar nicht gewachsen ist, der aber seine Behinderung angesichts der Bedrohung durch Hitler und mithilfe eines genialen Sprachlehrers überwindet, den heutigen Zeitgenossen wirklich bekannt geworden.

2011 erhielt der Film einen Oscar für "Das beste Originaldrehbuch". Drei weitere Oscars, der British Film Award und viele Preise mehr würdigten die filmische Umsetzung des Stoffes.

Das Stück "The King's Speech" gab es, bevor das Filmdrehbuch entstand. Autor David Seidler, ein Brite, der als Kind im Zweiten Weltkrieg aus seiner Familie gerissen wurde und auf einem Schiff in die USA fliehen musste, wurde auf dieser Reise selbst zum Stotterer. Sein Stottern bekam er erst als Jugendlicher - unter anderem unter Zuhilfenahme von Flüchen - in den Griff. "Ich habe mich schon als Student mit dem Leben des Königs George VI. beschäftigt, aber seine offizielle Biografie war trocken wie die Sahara", hat Seidler erzählt. Anfang der 1980er-Jahre nahm der Autor Kontakt zum Hirnchirurgen Valentine Logue auf, dem Sohn von Lionel Logue, dem australischen Sprachtherapeuten des Königs. Logue hatte ihm seine Unterstützung für die Entwicklung eines Skripts zugesagt, vorausgesetzt, "Queen Mum", die noch lebende Königinmutter Elizabeth, würde ihr Einverständnis geben.

Seidler schrieb der Witwe Georgs VI., die ihn aber 1982 in einem Brief darum bat, die Geschichte nicht zu ihren Lebzeiten zu veröffentlichen, da die Erinnerungen daran zu schmerzvoll gewesen wären. Erst nach dem Tod der Königinmutter, die 2002, im Alter von 101 Jahren starb, nahm Seidler die Arbeit wieder auf. Seine Uraufführung erlebte das Stück dennoch erst ein Jahr nach der Filmpremiere. Nun folgt die deutsche Erstaufführung von "The King's Speech" in Hamburg. Regie führt der Brite Michael Bogdanov, ein Waliser, der die britische Kultur "im Blut hat" und Feinheiten der britischen Oberschicht genau kennt und erklären kann. "Unsere Kultur ist kompliziert", sagt er, "wie benimmt man sich, was gehört zu einer Abdankung? Bei uns ist schon die Sprache so wichtig, weil man am Akzent ablesen kann, zu welcher Schicht jemand gehört. Jemand, der aus Birmingham, Glasgow oder Liverpool kommt, hatte und hat noch immer praktisch keine Chance. Manche Menschen nehmen Schauspielunterricht, um das wegzubekommen. Ich finde das furchtbar", sagt der Regisseur, der von 1989 bis 1992 das Deutsche Schauspielhaus leitete. Damals entdeckte er den jungen Marcus Bluhm, besetzte ihn 1991 als Romeo.

Jetzt wird Bluhm den stotternden König spielen. Keine ganz leichte Aufgabe. "Abends habe ich einen total verspannten Nacken- und Halsbereich", erzählt der Schauspieler. "Es ist anstrengend, die Worte lange im Körper zurückzuhalten. Jemand, der ständig denkt, gleich müsse er stottern, der wird eng im Hals, verkrampft sich."

Bluhm legt das Stottern so an, dass er nicht p-p-p-plaudern sagen muss, sondern eine lange Pause vor den Wörtern macht, die ihm schwer aus dem Mund kommen. Jetzt immerhin kann Bluhm entspannen und beißt genussvoll in ein Stück Kuchen mit Erdbeermarmelade. Prinz Albert, der zweitgeborene Sohn des Königs, war seit seiner Kindheit ein Außenseiter. Er war Linkshänder, trug gegen eine Krümmung Beinschienen, stotterte, war schüchtern. Ganz anders sein älterer Bruder Edward, genannt David, ein gut aussehender Bonvivant, der als König abdankte, um die geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson heiraten zu können. So wurde der Zweitgeborene, Albert, zu König George VI.

"Es muss eine Tortur für ihn gewesen sein, öffentlich aufzutreten", sagt Bogdanov. "Ich erinnere mich noch daran, wie ich 1952 als Kind seine Reden gehört habe. Die ganze Nation versammelte sich pünktlich um 15 Uhr vor dem Radio, um die Weihnachtsrede des Königs zu hören. In seinen Reden hat er dann nicht mehr gestottert, in Gesprächen schon. Wenn man 30, 40 Jahre stottert, wird man das nicht los. Das Volk mochte ihn, weil er ehrlich war." Und Susanne Schäfer, die Elizabeth spielt, also "Queen Mum" in ihren jungen Jahren, ergänzt: "Elizabeth hatte sich in die Schüchternheit und Unbeholfenheit Alberts verliebt. Sie hatte sich mit diesem scheuen Mann ein zurückgezogenes Leben zu zweit vorgestellt. Es kam ja dann ganz anders." Liebesgeschichten waren im englischen Königshaus völlig unüblich. "Prinzessin Margaret durfte Captain Peter Townsend nicht heiraten und ist darüber zur Alkoholikerin geworden. Charles musste Diana heiraten. Erst mit ihrem Tod hat sich diese Moral gelockert", sagt Michael Bogdanov.

Boris Aljinovic, der sehr schlank ist, kostet nur wenig vom Kuchen-, Früchtebrot- und Sandwicharrangement auf der Etagére, rennt stattdessen zwischendurch raus, um sein Motorrad umzuparken. Zurückgekommen erzählt er, wie kompliziert es ist, für den australischen Akzent, den seine Rolle im Englischen ja hat, eine deutsche Entsprechung zu finden. "Berlinern oder schwäbeln würde nicht passen. Ich werde dem Therapeuten wohl etwas ganz leicht Fremdes geben. Er ist ja Sprachlehrer und spricht fehlerlos."

"Die Hauptgeschichte des Stückes ist ganz leicht zu verstehen: Jemand stottert und muss eine Rede halten", sagt Bogdanov. Alles, was damit einhergeht, können die Zuschauer verstehen.

Was im Stück keine Rolle spielt, in der englischen Teekultur aber umso mehr, ist die Frage, ob man zuerst die Milch oder den Tee eingießt. Lange Essays beschäftigen sich mit der Frage, und Leser diskutieren sie bis heute in Zeitungen. Michael Bogdanov jedenfalls hat zuerst den Tee eingegossen.

Armgard Seegers
Hamburger Abendblatt, 19.11.2012

Freitag, 16. November 2012

Sprachtherapeut rettet König

Deutschsprachige Erstaufführung von "The King's Speech" im St. Pauli Theater

Beinahe ist es wie beim Afternoon Tea der Royals, in der Wohnhalle des Hotels "Vier Jahreszeiten". Mit dem feinen, wappengeschmückten Porzellan, den verschiedenen Teesorten und Etageren mit englisch anmutenden Köstlichkeiten wie Scones mit Clotted Cream oder Sandwiches, später darf es auch ein Prince-of-Wales-Cocktail sein, stilecht im Silberbecher serviert. So sind die standesgemäßen Voraussetzungen bestens, um mit Regisseur Michael Bogdanov und den Hauptdarstellern Susanne Schäfer, Marcus Bluhm und Boris Aljinovic zu plaudern - über David Seidlers Stück "The King's Speech" (Die Rede des Königs). Am Dienstag, dem 20. November, erfährt das Drama um den stotternden König Georg VI. seine deutsche Erstaufführung am St. Pauli Theater.

Seit der Film "The King's Speech" im vergangenen Jahr zu vierfachen Oscar-Ehren kam, sind viele bisher Unwissende mit der jüngsten englischen Geschichte etwas besser vertraut. Sie erfahren, dass der Vater der jetzigen Königin Elizabeth I. von früher Jugend an ein Stotterer war, sie erleben, wie er mithilfe des Sprachtherapeuten Lionel Logue sein Handicap nicht überwindet, damit aber umzugehen lernt. Sie lassen sich von der Liebesgeschichte zwischen Bertie, später Georg VI., und dessen Ehefrau Elizabeth, der "Queen Mum", rühren, und sie durchleiden mit Bertie dessen Qualen, den englischen Thron besteigen zu müssen. Alles historisch gesichert und von Seidler fast korrekt, wenn auch im Zeitraffer und mit einigen Freiheiten versehen, erzählt als glänzendes Well Made Play mit Tiefgang.

Nach diesem Stück, das auf Bitten von Queen Mum zu deren Lebzeiten nicht aufgeführt werden sollte, ist der Film entstanden. Nicht umgekehrt. "Es macht im Stück den Eindruck, als geschehe alles binnen eines halben Jahres, tatsächlich aber haben der König und Logue zwölf Jahre miteinander gearbeitet", korrigiert Bogdanov, der bestens mit dem Königshaus vertraut ist. Selbst wenn er natürlich darauf besteht, Waliser und kein Engländer zu sein: "Wir Waliser entscheiden aus dem Bauch heraus, während die Engländer Kopfmenschen sind." Der Regisseur hat die englische Königin vier Mal im persönlichen Gespräch getroffen, und er ist mit der Monarchie aufgewachsen. "Das war meine Kindheit. Ich erinnere mich genau an die Weihnachtsansprachen von Georg VI. um 15 Uhr im Radio und all die Rituale und Messages", sagt der 73-Jährige voller Sympathie über den König wider Willen, der schüchtern, ehrlich und geradlinig gewesen sei. Er habe eine fürchterliche Jugend gehabt und später als König "einen richtig guten Job gemacht".

Marcus Bluhm als Georg VI. sieht das ähnlich und will die Menschwerdung eines Mannes zeigen, dessen Stottern zum existenziellen Problem wurde - in Hinblick auf die öffentliche Aufgabe, die er zu erfüllen hatte. "Ich will die Tragik dieser Figur zeigen, die liebt, kämpft und ihre Pflicht erfüllt. Wenn er vor dem Mikrofon stand, muss es jedes Mal wie eine Hinrichtung gewesen sein", ahnt Bluhm, der versucht, "Nuancen im Stottern" zu verdeutlichen und den König nicht der Lächerlichkeit preiszugeben.

Wohingegen Boris Aljinovic als Logue zunächst sehr genau zwischen historischer Wahrheit und Fiktion unterscheidet, bevor er über Emotionen spricht. Auch er lässt sich vom Film nicht einschüchtern: "Da ist zwar die gleiche Vorlage, aber ich versuche, zu vergessen und mit dem Material umzugehen, was ich vorfinde." Genauso hält es Susanne Schäfer, die bemüht ist, die Balance zu finden "zwischen dem höfischen Benehmen einer Königin, ihrer ziemlich toughen Entschlossenheit und ihrer Liebe zu Bertie".

Monika Nellissen
Die Welt, 16.11.2012

Mittwoch, 14. November 2012

Vielen Dank an das St. Pauli Theater für die Bereitstellung der Bilder
© Stefan Malzkorn
© Stefan Malzkorn
© Stefan Malzkorn

Donnerstag, 8. November 2012

Tea-Time mit dem Stotter König


Auf der Hamburger Theater Bühne wird Marcus Bluhm zu King George VI. (1895-1952; Vater von Queen Elizabeth II.), der seit Kindheitstagen stotterte. "Tatort"-Star Boris Aljinovic spielt Lionel Logue, seinen außergewöhnlichen Sprachtherapeuten.
BILD traf die beiden Hauptdarsteller  aus "The King's Speech", Boris Aljinovic (45) und Marcus Bluhm (46), im "Vier Jahreszeiten" - zum "High Tea".
"Der König hat alles, gehört zur reichsten Familie der Welt. Und obwohl er zwei Drittel der Welt besitzt, muss ein verkrachter Niemand ihm zeigen, was sein eigentlicher Wert ist.“, erzählt Boris Aljinovic. Und auf die Frage hin, wie man den richtig stottert, erklärt Bluhm: "Im Grunde ist es nur das Wiederholen von Silben. Aber das reicht nicht. Es ist schwer, so zu stottern, dass man glaubt, dass es wirklich einen psychologischen Grund dafür gibt."

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Königliches Ambiente: Bluhm und Aljinovic in der Wohnhalle des "Vier Jahrezeiten"
© Henning Scheffen
Die beiden Hauptdarsteller mit edlen Leckereien im "Vier Jahreszeiten"
© Henning Scheffen
Susanne Schäfer, Michael Bogdanov (Regie) und BILD-Redakteur Volker Peschel
© Henning Scheffen