Montag, 19. November 2012

"The King's Speech": Das Drama des stotternden Königs

Das Stück von David Seidler über George VI. hat in der Regie von Michael Bogdanov Premiere am Hamburger St.-Pauli-Theater.

© Stefan Malzkorn
Hamburg. Clotted Cream und Scones am Nachmittag, im Hintergrund perlt ein Klavier - britischer geht's nicht. Es sei denn, man würde sich mittags zu Steak and Kidney Pie (nur echt mit Rindertalg und viel Nieren!) treffen. Aber das will im Ernst wohl niemand, zu groß wäre die kulinarische Herausforderung. Nun also Tea Time mit Michael Bogdanov, dem Regisseur und den Schauspielern Marcus Bluhm, Boris Aljinovic und Susanne Schäfer, die uns vom 20. November an im St.-Pauli-Theater ein persönliches Drama aus dem englischen Königshaus und den Beginn einer wunderbaren Freundschaft präsentieren werden, "The King's Speech" heißt das Stück.

Mit dem Film über den stotternden König George VI. ist nicht nur der Drehbuchautor David Seidler berühmt geworden. Auch der König, Vater der englischen Königin Elizabeth II., ist erst durch den Film und seine berührende Geschichte vom schüchternen Mann, der der Welt da draußen scheinbar nicht gewachsen ist, der aber seine Behinderung angesichts der Bedrohung durch Hitler und mithilfe eines genialen Sprachlehrers überwindet, den heutigen Zeitgenossen wirklich bekannt geworden.

2011 erhielt der Film einen Oscar für "Das beste Originaldrehbuch". Drei weitere Oscars, der British Film Award und viele Preise mehr würdigten die filmische Umsetzung des Stoffes.

Das Stück "The King's Speech" gab es, bevor das Filmdrehbuch entstand. Autor David Seidler, ein Brite, der als Kind im Zweiten Weltkrieg aus seiner Familie gerissen wurde und auf einem Schiff in die USA fliehen musste, wurde auf dieser Reise selbst zum Stotterer. Sein Stottern bekam er erst als Jugendlicher - unter anderem unter Zuhilfenahme von Flüchen - in den Griff. "Ich habe mich schon als Student mit dem Leben des Königs George VI. beschäftigt, aber seine offizielle Biografie war trocken wie die Sahara", hat Seidler erzählt. Anfang der 1980er-Jahre nahm der Autor Kontakt zum Hirnchirurgen Valentine Logue auf, dem Sohn von Lionel Logue, dem australischen Sprachtherapeuten des Königs. Logue hatte ihm seine Unterstützung für die Entwicklung eines Skripts zugesagt, vorausgesetzt, "Queen Mum", die noch lebende Königinmutter Elizabeth, würde ihr Einverständnis geben.

Seidler schrieb der Witwe Georgs VI., die ihn aber 1982 in einem Brief darum bat, die Geschichte nicht zu ihren Lebzeiten zu veröffentlichen, da die Erinnerungen daran zu schmerzvoll gewesen wären. Erst nach dem Tod der Königinmutter, die 2002, im Alter von 101 Jahren starb, nahm Seidler die Arbeit wieder auf. Seine Uraufführung erlebte das Stück dennoch erst ein Jahr nach der Filmpremiere. Nun folgt die deutsche Erstaufführung von "The King's Speech" in Hamburg. Regie führt der Brite Michael Bogdanov, ein Waliser, der die britische Kultur "im Blut hat" und Feinheiten der britischen Oberschicht genau kennt und erklären kann. "Unsere Kultur ist kompliziert", sagt er, "wie benimmt man sich, was gehört zu einer Abdankung? Bei uns ist schon die Sprache so wichtig, weil man am Akzent ablesen kann, zu welcher Schicht jemand gehört. Jemand, der aus Birmingham, Glasgow oder Liverpool kommt, hatte und hat noch immer praktisch keine Chance. Manche Menschen nehmen Schauspielunterricht, um das wegzubekommen. Ich finde das furchtbar", sagt der Regisseur, der von 1989 bis 1992 das Deutsche Schauspielhaus leitete. Damals entdeckte er den jungen Marcus Bluhm, besetzte ihn 1991 als Romeo.

Jetzt wird Bluhm den stotternden König spielen. Keine ganz leichte Aufgabe. "Abends habe ich einen total verspannten Nacken- und Halsbereich", erzählt der Schauspieler. "Es ist anstrengend, die Worte lange im Körper zurückzuhalten. Jemand, der ständig denkt, gleich müsse er stottern, der wird eng im Hals, verkrampft sich."

Bluhm legt das Stottern so an, dass er nicht p-p-p-plaudern sagen muss, sondern eine lange Pause vor den Wörtern macht, die ihm schwer aus dem Mund kommen. Jetzt immerhin kann Bluhm entspannen und beißt genussvoll in ein Stück Kuchen mit Erdbeermarmelade. Prinz Albert, der zweitgeborene Sohn des Königs, war seit seiner Kindheit ein Außenseiter. Er war Linkshänder, trug gegen eine Krümmung Beinschienen, stotterte, war schüchtern. Ganz anders sein älterer Bruder Edward, genannt David, ein gut aussehender Bonvivant, der als König abdankte, um die geschiedene Amerikanerin Wallis Simpson heiraten zu können. So wurde der Zweitgeborene, Albert, zu König George VI.

"Es muss eine Tortur für ihn gewesen sein, öffentlich aufzutreten", sagt Bogdanov. "Ich erinnere mich noch daran, wie ich 1952 als Kind seine Reden gehört habe. Die ganze Nation versammelte sich pünktlich um 15 Uhr vor dem Radio, um die Weihnachtsrede des Königs zu hören. In seinen Reden hat er dann nicht mehr gestottert, in Gesprächen schon. Wenn man 30, 40 Jahre stottert, wird man das nicht los. Das Volk mochte ihn, weil er ehrlich war." Und Susanne Schäfer, die Elizabeth spielt, also "Queen Mum" in ihren jungen Jahren, ergänzt: "Elizabeth hatte sich in die Schüchternheit und Unbeholfenheit Alberts verliebt. Sie hatte sich mit diesem scheuen Mann ein zurückgezogenes Leben zu zweit vorgestellt. Es kam ja dann ganz anders." Liebesgeschichten waren im englischen Königshaus völlig unüblich. "Prinzessin Margaret durfte Captain Peter Townsend nicht heiraten und ist darüber zur Alkoholikerin geworden. Charles musste Diana heiraten. Erst mit ihrem Tod hat sich diese Moral gelockert", sagt Michael Bogdanov.

Boris Aljinovic, der sehr schlank ist, kostet nur wenig vom Kuchen-, Früchtebrot- und Sandwicharrangement auf der Etagére, rennt stattdessen zwischendurch raus, um sein Motorrad umzuparken. Zurückgekommen erzählt er, wie kompliziert es ist, für den australischen Akzent, den seine Rolle im Englischen ja hat, eine deutsche Entsprechung zu finden. "Berlinern oder schwäbeln würde nicht passen. Ich werde dem Therapeuten wohl etwas ganz leicht Fremdes geben. Er ist ja Sprachlehrer und spricht fehlerlos."

"Die Hauptgeschichte des Stückes ist ganz leicht zu verstehen: Jemand stottert und muss eine Rede halten", sagt Bogdanov. Alles, was damit einhergeht, können die Zuschauer verstehen.

Was im Stück keine Rolle spielt, in der englischen Teekultur aber umso mehr, ist die Frage, ob man zuerst die Milch oder den Tee eingießt. Lange Essays beschäftigen sich mit der Frage, und Leser diskutieren sie bis heute in Zeitungen. Michael Bogdanov jedenfalls hat zuerst den Tee eingegossen.

Armgard Seegers
Hamburger Abendblatt, 19.11.2012